Empathie und mein Borderline

Obwohl ich sehr feine Antennen habe, oft eher zu viel mitfühle (mich nicht wirklich abgrenzen kann und von Stimmungen um mich herum geradezu überrollt werde), fällt es mir schwer, bestimmte Emotionen zu erkennen und ich bewerte neutrale Situationen eher negativ. Das ist typisch für Menschen mit Borderline.

„Die Eingangshypothesen konnten über die Prüfung der Daten […] größtenteils bestätigt werden. Die untersuchten Borderline-Patientinnen wiesen Defizite in der Erkennung von Verachtung, neutralem Ausdruck und Ekel auf, die jedoch nicht störungsspezifisch waren, und zeigten des Weiteren eine störangsspezifische, verstärkte Tendenz zur Verwechslung anderer Emotionsausdrücke mit Verachtung und zur Fehlinterpretation neutraler Ausdrücke i. S. einer negativen Emotion.“

— Die Kompetenz von Borderline-Patientinnen zur Dekodierung von Emotionen aus dem mimischen Ausdruck von Stephanie Nausikaa Schettler, Saarbrücken, 2010, https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/10760/1/scheffler_bearbeitet.pdf

Kombiniert mit meiner Neigung zum Schwarz/Weiß-Denken (ADHS und Borderline) ergeben sich daraus immer wieder Konflikte, Selbstzweifel und nicht angemessene Reaktionen. Lange Zeit bin ich daran immer wieder verzweifelt.

Ich konnte nicht begreifen, warum ich auf der einen Seite immer wieder das Feedback bekommen habe, sehr emphatisch zu sein, zum Beispiel gut mit schwierigen Patient*innen zu arbeiten, Menschen gut zuhören und verstehen zu können – ich mich auf der anderen Seite häufig angegriffen gefühlt habe, Konflikte eskaliert sind und ich mich selbst abgewertet habe, obwohl objektiv gar keinen Anlass dazu gab.

Mittlerweile hilft mir das Wissen über mein Störungsbild. Zumindest, wenn ich nicht im Hochstress bin, frage ich nach, versuche die Antwort zu glauben, hinterfrage meine eigene Wahrnehmung (gerade bei Menschen, von denen ich weiß, dass sie mich lieben, sie mir nichts Böses wollen) oder schlafe eine Nacht darüber, bevor ich reagiere.

Es ist anstrengend, immerzu achtsam zu sein, sich selbst zu beobachten. Es kostet Zeit und Energie, Situationen zu analysieren, versuchen aus anderen Perspektiven auf sie zu blicken.

Dadurch, und in einem Umfeld, das sehr verständnisvoll ist, mich nicht für mein ständiges Fragen nach Klarheit und Feedback beschämt, bin ich in der Lage, beständigere Beziehungen zu führen.

Es erklärt aber auch, warum mich soziale Situationen schnell erschöpfen und ich permanent überfordert bin.

#bpd #borderline #Empathie #Verzerrung